Erst durch
den Zerfall Jugoslawiens wurde vielen Europäern bewusst,
dass es in Europa Muslime gibt, die hier nicht als Gastarbeiter,
durch ein Studium oder als Asylbewerber eine Heimat fanden.
Muslime auf dem Balkan sind auch nicht nur die Türken,
die nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches auf dem Balkan
verblieben. Zu ihnen zählen auch die Nachfahren derjenigen,
die während der Herrschaft der Osmanen freiwillig oder
zwangsweise den neuen Glauben annahmen und bis heute an ihm
festhalten. Die bekanntesten europäischen Muslime sind
die Bosnier, aber auch ein großer Teil der Albaner, die
bulgarisch sprechenden Pomaken und ein Teil der Roma bekennen
sich seit Jahrhunderten zu dieser Religion. Nach einer Volkszählung
vom Dezember 1992 gab es beispielsweise in Bulgarien 7.373.246
Christen und 1.078.327 Muslime. Christen waren 98 % der Bulgaren,
60,1 % der Roma und 1,1 % der Türken. Muslime waren 98
% der Türken, 39,2 % der Roma und 2 % der Bulgaren (Pomaken)
.
Während es im Prozess des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawiens
immer wieder den Anschein hatte, dass die Zugehörigkeit
zu unterschiedlichen Religionen der Grund für die Auseinandersetzungen
zwischen verschiedenen Völkern oder ethnischen Gruppen
war, liefert die Geschichte auch Beispiele dafür, dass
dies in der vormodernen Gesellschaft des Balkans durchaus nicht
immer so war.
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In der vormodernen Zeit gab es ein ständiges Mit- oder
Nebeneinander der unterschiedlichen ethnischen und religiösen
Gruppen auf dem Balkan. Auf den Arbeitsalltag bezogen bedeutete
das, dass viele Handwerkszweige sowie der Handel in den Händen
von bestimmten Gruppen lagen, Bodenbau und Viehhaltung hingegen
von allen ethnischen und religiösen Gemeinschaften gleichermaßen
betrieben wurden.
Auch heute bemerkt man in den bulgarischen Rhodopen die Zeichen
der unterschiedlichen Glaubenszugehörigkeit. In dem einen
Dorf leuchtet eine frisch renovierte orthodoxe Kirche, in einem
anderen eine neu verputzte kleine Moschee. Nicht selten stehen
Moschee und Kirche in friedlicher Nachbarschaft vereint.
Das traditionelle Leben wurde auch auf dem Balkan seit ältester
Zeit vom Rhythmus der Natur und vom landwirtschaftlichen Kalender
bestimmt. So entwickelten sich Feste und Bräuche, die den
Dank für die vorangegangene Ernte, die Bitte um Segen für
das Gedeihen der kommenden Aussaat und die Bitte um Gesundheit
und Wohlergehen der Menschen zum Inhalt hatten. Das ausgehende
alte Jahr und der herannahende Frühling werden besonders
ausgiebig gefeiert. Dabei ist man sich heute meist nicht mehr
der Wurzeln dieses Brauchtums bewusst. Die Feste des Jahres
sind in starkem Maße von den Religionen überlagert,
und die Trennung in muslimische und christliche Bräuche
und Feste lässt die vorangegangenen Gemeinsamkeiten scheinbar
verblassen.
Bulgarien wurde zwischen 1944 und 1989 wesentlich stärker
als die DDR von einem staatlich propagierten Atheismus geprägt.
Die religiös dominierten Feste wurden ausschließlich
im familiären Rahmen gefeiert. Nur wenige, vor allem ältere
Bulgaren bekannten sich damals noch zu ihrem Glauben.
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Bei allen Religionsgruppen war nach 1989 eine verstärkte
Hinwendung zum Glauben zu bemerken. Äußerliches Zeichen
sind die vielen bereits erwähnten kleinen Kirchen und Moscheen,
die selbst in abgelegenen Dörfern das heutige Erscheinungsbild
prägen. Während in früheren Jahrzehnten vor allem
ältere Menschen die Gotteshäuser aufsuchten, sind
es nun Vertreter aller Altersgruppen. Besonders viele Menschen
kommen an den großen Festtagen in die Kirchen oder Moschee.
Nicht nur der Glaube an Gott hat zugenommen. Auch die Feste
des Jahres werden inzwischen mit all ihrem besonderen Brauchtum
wieder sehr ausgiebig gefeiert.
Fasten und Feiern bei
den Christen Bulgariens
Fastengebote gibt es in vielen Religionen der Welt. Orthodoxe
und katholische Christen kennen im allgemeinen zwei große
Fastenzeiten im Jahreslauf . Für die orthodoxen Christen
Bulgariens sind das die 48 Tage vor Ostern sowie die beiden
Monate vor Weihnachten (November und Dezember). Außerdem
fasten sie in der Woche vor dem Petrovden (Juni) und in den
zwei Wochen vor Mariä Himmelfahrt (August). Früher
gab es für die orthodoxen Christen Bulgariens außerdem
noch zwei wöchentliche Fastentage (am Mittwoch und Freitag)
und drei absolute Fastentage vor jedem Abendmahl. Das Fasten
beinhaltet bei ihnen die Abstinenz von Fleisch, Eiern, Milchprodukten,
Fisch , Öl und Wein. Empfohlen werden dagegen alle verfügbaren
Obst- und Gemüsearten sowie Kräuter. Alle Speisen
sollen in der Fastenzeit ausschließlich mit pflanzlichem
Fett bereitet werden.
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Sowohl in der Zeit vor Ostern als auch vor Weihnachten konnten
wir bei den orthodoxen Bulgaren kein strenges Fasten beobachten.
Ähnlich wie bei uns, bemühen sich manche heute um
ein "Teilfasten", d.h. sie wählen sich bestimmte
Speisen aus, auf die sie während der Fastenzeit oder an
einigen Tagen davon freiwillig verzichten.
Die bedeutendste Fastenzeit der christlichen Bulgaren ist die
vor Ostern. Es gibt das "Kleinfasten" oder "Fleisch-Fasten",
das nach dem Nedelja Mesopustna oder Mesni zagovesni (acht Wochen
vor Ostern; im Jahr 2003 nach dem 2. März) beginnt . In
manchen Gegenden gehen an diesem Tag Jungvermählte vor
dem Abendessen zu ihrem Trauzeugen, dem Brautführer, den
Eltern der Braut und nahen Verwandten und bringen ihnen Brotkringel,
Huhn und Wein. Abends isst man gegartes Huhn, wobei im Topf
ein Wergfaden mit gekocht wird. Diesen bindet man danach den
kleinen Kindern um die Hände, damit sie gesund bleiben
. Die folgende Woche heisst "sirnica" (Käsewoche).
In dieser Woche ist es noch erlaubt, Milcherzeugnisse und Eier
zu essen. Es ist eine Übergangswoche zwischen Winter- und
Frühlingsbräuchen. In Bulgarien soll man in dieser
Woche weder stricken noch nähen, weil dadurch die wachsende
Saat gestört werden könnte. Man soll nicht waschen,
und man soll auf gar keinen Fall weiße Wäsche auf
die Leine hängen, weil sonst im Sommer Hagel drohe.
Das "Große" oder eigentliche Osterfasten beginnt
nach dem Nedelja siropustna oder Sirni zagovezni (im Jahr 2003
am 9. März) . Von nun ab sind auch Eier und Milcherzeugnisse
zu meiden.
(
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Bis heute haben sich viele Elemente der traditionellen Familienbeziehungen
in Bulgarien erhalten. So ist es noch immer üblich, dass
zu Sirni zagovezni die jüngeren Leute die älteren
um Vergebung bitten, und dass Jungvermählte ihre Trauzeugen,
ihre Eltern und Paten besuchen. Versöhnt und gereinigt
beginnt man dann zu fasten.
Für die Kinder hat der Abend des Sirni zagovezni eine besondere
Bedeutung. Die Erwachsenen bereiten für sie hamkane vor.
(
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Nach einer anderen Quelle wird außer weißem Halva
auch ein Stück Käse oder ein gekochtes Ei mit einem
Woll- oder Hanffaden an einen Spinnrocken gebunden, den die
Großmutter des Hauses hin und her pendelt. Berichtet wird
auch, dass der Faden, nachdem alles von den Kindern geschnappt
wurde, angezündet wird. Aus der Art des Verbrennens werden
Rückschlüsse auf die zu erwartende Gesundheit der
Familienangehörigen und die Fruchtbarkeit der Äcker
gezogen. Die Asche soll aufbewahrt werden und als Heilmittel
gegen Augenerkrankungen der Haustiere dienen. Das hamkane wird
bis heute durchgeführt. Eine schon viele Jahre mit ihrer
Familie in Leipzig lebende Bulgarin erzählte mir, dass
sie sich immer gern gerade an diesen Brauch in ihrer Kindheit
erinnert und dass sie dies mit ihren Kindern auch in Leipzig
durchgeführt habe. Am Abend des Sirni zagovezni werden
die vorher zusammengetragenen Reisighaufen angezündet.
Man schätzt die reinigende Kraft des Feuers als Voraussetzung
für Fruchtbarkeit und Gedeihen. Im Schein des Feuers tanzen
die Dorfbewohner zum letzten Mal vor Ostern den auf dem ganzen
Balkan beliebten Reigen (horo). Man gibt sich Mühe, hoch
zu springen, damit die Saat hoch wird. Ein alter Brauch war
das "Pfeil-Werfen", bei dem die jungen Männer
brennende Pfeile in die Gärten ihrer Angebeteten schossen.
Die Feier dauert bis tief in die Nacht. Wenn am Morgen das Feuer
herunter gebrannt ist, springen die jungen Männer und Kinder
über die Glut.
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Nach dem Palmsonntag beginnt die "Große Woche"
oder "Leidenswoche". Es ist die letzte Fastenwoche
und Zeit für die unmittelbaren Vorbereitungen auf Ostern.
Velikden (Großer Tag, Ostern) ist eines der größten
und beliebtesten Feste der christlichen Bulgaren. Bis zum Mittwoch
soll ein gründlicher Hausputz beendet sein. Vom Großen
Donnerstag an bis zum Ende des Festes sollte weder Haus- noch
Feldarbeit erledigt werden. Am Großen Donnerstag werden
die Eier für das Fest gefärbt. Man soll damit vor
Sonnenaufgang beginnen. Das erste Ei wird bis heute rot gefärbt.
Es ist üblich, daß die Mutter mit ihm drei Mal die
Wangen und Stirn ihrer Kinder bestreicht und dabei sagt: "Werde
ein rotes (gesundes) Mädchen", "Werde ein roter
(gesunder) Junge", "Weiß und rot, heil und gesund".
Dieses Ei wird dann bis zum nächsten Großen Donnerstag
an der Hausikone aufbewahrt. Man glaubt, dass es heilkräftige
Wirkung hat und im Sommer Hagel abwehrt, wenn man es am Georgstag
(6. Mai) bei sich trägt und damit die Felder aufsucht.
Ein Jahr später wird dieses Ei am Großen Donnerstag
von der Ikone genommen. Man zerschlägt es und glaubt, dass
bei einem wohlriechenden Innern der Familie nur Gutes bevorsteht.
Die Reste des Eis werden verfüttert. Man darf sie nicht
ins Wasser oder auf den Boden werfen. Verströmt der "Hausgeist"
aber schlechte Gerüche, dann drohen der Tod eines Familienmitgliedes
oder andere Übel. Eine Bulgarin erzählte mir, dass
sie immer Angst vor einem schlechten Ei habe und es daher immer
ganz weit wegwerfe, um einem Risiko zu entgehen. Die übrigen
frisch gefärbten Eier werden in ein Sieb gelegt, das man
mit einem roten Tuch bedeckt und in die Sonne stellt, damit
sie deren Kraft aufnehmen können.
Ursprünglich wurden die Eier vor allem rot gefärbt.
Später gab man ihnen mit Hilfe von Lindenblättern,
Zwiebelschalen, Wurzeln und Rinden verschiedener Pflanzen auch
andere Farben. Bemalte Eier sind in einigen Gegenden Bulgariens
bis heute beliebte Geschenke für Paten, Trauzeugen, nahe
Verwandte oder gute Freunde. Neben Pflanzenmotiven werden dabei
auch Sonnenräder und Spiralen, früher sogar Fische,
Menschen und anderes gestaltet. Beim Verzieren unterscheidet
man zwei verschiedene Techniken. In beiden Fällen werden
die Linien mit Wachs aufgetragen. Bei der ersten Technik, die
um Sofia und Ihtiman zu Hause ist, füllt man danach die
Innenflächen der Ornamente mit farbiger Eitempera. Die
zweite Technik ist in den Gebieten um Samokov, Kostenec, Velingrad,
Rakitovo und Alfatar verbreitet. Hier legt man die Eier nach
dem Auftragen der Wachsornamente in ein heißes rotes Farbbad.
So entsteht ein Muster aus weißen Linien auf rotem Grund
(Wachs-Reservetechnik). Zum Malen wird heute überall der
gleiche Malgriffel (pisalka) verwendet: In ein Holzstäbchen
wird ein spitz zulaufendes, vorzugsweise aus einer Silbermünze
gefertigtes Röhrchen eingesetzt. In die breitere Öffnung
führt man dann zum Arbeiten ein stiftartig gerolltes Stückchen
Bienenwachs ein. Wenn man nun den Malgriffel über eine
brennende Kerze hält, beginnt sich das Wachs zu verflüssigen
und kann so zum Auftragen der Ornamente benutzt werden. Auf
einige Eier werden zusätzlich zu einem geometrischen Grundmuster
mit Wachsklümpchen noch kleine Wollbüschel aufgeklebt.
Sie werden als ganz besondere Geschenke Freunden und Taufpaten
überreicht. Am Großen Donnerstag bereiten die Frauen
nicht nur die Ostereier, sondern auch einen neuen Hefeansatz
für den Brotteig. Der Ansatz soll sicher verwahrt bleiben,
denn man glaubt, dass Fruchtbarkeit und Reichtum aus dem Hause
gehen, wenn jemand davon nimmt. Häufig werden Eier, z.B.
als Kreuz, in die Osterbrote eingebacken. Manchmal sind es so
viele Eier, wie Familienmitglieder im Haus wohnen. Auch die
Schalen dieser Eier sollen Heilkraft besitzen. Am Freitag waschen
sich die Frauen morgens mit Wasser, in dem ein Sträußchen
sdravec (Geranie) gelegen hat. Anschließend werden die
Brote zur Weihe in die Kirche getragen. Am Sonnabend geht man
auf die Friedhöfe und besucht die Verstorbenen. Zu den
Opfern für die Verstorbenen gehören gekochte Eier,
Brot und Kerzen. Am Sonnabendabend finden sich alle in der Kirche
zur heiligen Liturgie ein. Um 24 Uhr läuten die Glocken
und die Priester verkünden die Auferstehung Christi. Man
beglückwünscht sich mit den Worten "Hristos v²zkrese"
(Christus ist auferstanden), worauf der so Gegrüßte
antwortet: "Da, Hristos v²zkrese" (Ja, Christus
iat auferstanden). Mit einer geweihten brennenden Kerzen kehren
die Menschen in ihre Häuser zurück, wo sie die Flamme
als "ewiges Licht" bewahren. Nun werden die Weihbrote
gebrochen und Ostereier gegessen. Die Zeit des Fastens ist vorüber.
Am Sonntag und in der darauffolgenden Woche besuchen die Jungvermählten
ihre Trauzeugen und die Eltern der Braut und beschenken sie
mit Broten und gefärbten Eiern. Überall wird gesungen
und getanzt. An die Bäume bindet man erstmalig wieder Schaukeln.
Man schaukelt, um gesund zu bleiben. Kinder und Erwachsene beginnen
aus Spaß, die einfarbig gefärbten Ostereier aneinander
zu schlagen. Derjenige, dessen Ei ganz bleibt, wird in den kommenden
Monaten gesund und stark sein. Außerdem bekommt er das
angeschlagene Ei geschenkt. Die Schalen der gefärbten Eier
bringt man auf die Äcker, damit diese fruchtbar werden.
Am Sonntag nach Ostern werden nochmals Eier bemalt und gefärbt.
Sie sind für die verstorbenen Familienangehörigen
bestimmt. In Bulgarien glaubt man, dass zwischen dem Großen
Donnerstag und dem Spasovden (Christi Himmelfahrt) Gott die
Seelen der Verstorbenen auf der Erde spazieren gehen läßt.
Meist sind auch diese Eier rot, in Teilen Mazedoniens und Bulgariens
aber auch schwarz.
Das gesamte Osterbrauchtum erlebte in Bulgarien nach der politischen
Wende eine starke Wiederbelebung. In Schulen, den ¹italiëta
und ganz besonders in den Museen finden in Vorbereitung des
Osterfestes workshops und Veranstaltungen zum Bemalen der Ostereier
bzw. zur Erläuterung des Osterbrauchtums statt. Im März
2001 nahmen wir an einem solchen workshop im Sofioter Ethnographischen
Museum teil. Zunächst wurde den Teilnehmern in einer kleinen
Ausstellung das Osterbrauchtum erläutert. Danach zeigte
eine Velingraderin den Kindern und Jugendlichen, wie man in
Velingrad Eier verziert. Jeder konnte eigene Versuche machen,
diese dann färben und mit nach Hause nehmen. Eine Velingrader
Firma hatte für diese workshops "Mal-Sets" vorbereitet.
So konnten interessierte Teilnehmer einen Malgriffel, Farbe
und eine Ornamentübersicht mit nach Hause nehmen. Man erzählte
uns, dass diese Firma ähnliche Veranstaltungen in vielen
Städten Bulgariens organisiert und finanziell unterstützt.
Fasten und Feiern bei
den Muslimen Bulgariens
Auch die Muslime kennen jahreszeitliche Feste, die von vorislamischem
Brauchtum bestimmt sind und in enger Verbindung zum natürlichen
Jahresablauf stehen.
Zu diesen gehört auch das vom Alten Iran ausgegangene Nouruz-Fest,
das gewöhnlich zur Frühjahrs-Tagundnachtgleiche begangen
wird. Auf den Balkan gelangte es als religiöses Fest (nevruz)
über den Derwischorden der Bektaschiya . Von muslimischen
Albanern wird es bis heute am 15. März als Frühlingsfest
gefeiert.
Den 6. Mai feiern die Muslime des Balkans wie die Christen.
Während die letzteren an diesem Tag den Heiligen Georg
ehren, wird von den islamischen Gemeinden H²derlez (Edrelez)
begangen. Nach einer Legende sollen sich am 6. Mai al-Hadir
und Elias begegnen, nachdem sie ein Jahr in verschiedenen Richtungen
um die Welt geritten sind. Für sie schlachten die bulgarischen
Muslime, ähnlich wie ihre christlich-orthodoxen Landsleute
für den Heiligen Georg, erstmalig im laufenden Jahr ein
männliches Lamm. Die Christen schmücken es mit einem
Blumenkranz und führen es vor dem Schlachten zur Kirche.
Die Muslime färben das Fell des Opferlamms mit Henna rot,
wobei sie ein besonders starkes, gesundes Tier aussuchen. Man
sagt, dieses Opfertier trage dereinst auf seinem Rücken
die Seelen der Toten über die Brücke, die die Hölle
vom Paradies trennt. Beide Konfessionen gehen in ganz ähnlicher
Weise mit dem Blut des getöteten Tieres um. Sie geben es
in ein fließendes Gewässer, damit sich die Fruchtbarkeit
verbreite. Sie vergraben die Knochen in einem Ameisenhaufen,
damit sich die Lämmer wie die Ameisen vermehren. Muslime
und Christen sind überzeugt, dass am 6. Mai die Blumen
und Kräuter eine besondere Heilkraft haben. Sie pflücken
sie, um daraus Sträuße zu binden, mit denen sie dann
ihre Häuser schmücken.
Neben diesen jahreszeitlichen Festen feiern die Muslime des
Balkans natürlich vor allem die Feste des islamischen Jahres.
Von besonderer Bedeutung sind der Große Bajrjam (auch:
ramazan bajrjam) und der Kleine Bajrjam (auch: kurban bajrjam).
Früher wurde drei Monate vor dem Großen Bajrjam (Redûep,
abat, Ramazan) streng gefastet. R. Popov notierte eine
Überlieferung aus dem Dorf Sirnica in den Rhodopen, derzufolge
man vor der Annahme des Islam ganzjährig auf Fleisch verzichtet
haben soll. Heute beachtet man das Fasten nur im eigentlichen
Fastenmonat Ramazan. Während dieser Zeit ist es verboten,
zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang zu essen, zu trinken
und zu rauchen. Für alle Muslime gilt das Fasten in diesem
Monat als eine der fünf Säulen des Islam. In der 2.
Sure des Koran heißt es: "179. (183.) O ihr, die
ihr glaubt, vorgeschrieben ist euch das Fasten, wie es den Früheren
vorgeschrieben ward; vielleicht werdet ihr gottesfürchtig.
180. (184.) Gezählte Tage! Wenn aber einer unter euch krank
ist oder auf Reisen, (der faste die gleiche) Anzahl von andern
Tagen; und sie, die es vermöchten (und nicht fasten), sollen
zur Sühne einen Armen speisen." Die Speisung von Armen
in der Fastenzeit wird nicht nur als Sühne, sondern darüber
hinaus auch als Gebot, Ärmeren gegenüber wohltätig
zu sein, empfohlen.
(
)
Den Beginn und das Ende des Fastenmonats und die Zeiten des
täglichen Fastenbrechens erfährt man heute aus einem
islamischen Jahreskalender, einem kleinen Heftchen, das im äußeren
Aufbau dem Kalender der orthodoxen Christen gleicht. Über
den Fastenmonat, das bevorstehende Ende und die damit verbundenen
Feiern wurde während unseres Aufenthalts im Dezember 2002
sowohl im zentralen als auch regionalen Fernsehen ausführlich
berichtet.
Das Fasten im neunten Monat des islamischen Mondkalenders ist
nicht nur ein Nahrungsentzug. Die Muslime sollen diese Zeit
als gewollte und akzeptierte Entbehrung empfinden. Sie sollen
Gott und dem Glauben näher kommen und auch die Nähe
zu ihren Mitmenschen suchen. Wie in vielen Konfessionen üblich,
sind auch die Muslime angehalten, in dieser Zeit einander zu
vergeben.
Der Große Bairam, das Ende der Fastenzeit, wird 3-4 Tage
lang gefeiert. Die Frauen haben im Vorfeld eine Menge gekocht
und gebacken: banica (mit Käse, Quark, Reis und Eiern gefüllter
Strudel), ka¹amak (Maisbrei), eine Suppe aus Eierteigwaren
und Bohnen, Pilaw (Reis mit Gemüse und Rind- oder Lammfleisch),
baklava (Blätterteiggebäck), halva (süße
Leckerei aus Sesam oder Sonnenblumenkernen) und Scherbet. Die
Familien besuchen einander. Die jungen Leute hängen Schaukeln
in große Walnußbäume und spielen. Alle Jugendlichen
dürfen frei miteinander umgehen, nicht erlaubt ist lediglich,
sich an den Händen zu fassen. Oft sammeln sich die heiratsfähigen
Mädchen und singen gemeinsam Lieder, die ihre Sehnsucht
nach Heirat zum Ausdruck bringen. Mancherorts finden während
dieser Festzeit auch Maskenspiele statt. Auch hierbei verkleiden
sich Männer als Frauen. Einige von ihnen schwärzen
sich mit Ruß das Gesicht und schultern einen Sack mit
Asche, die sie dann über die Umstehenden ausstreuen. Zwei
Junggesellen werfen sich eine Decke über die Schultern
und werden so zu "Bären", die von einem "Bärenführer"
zum Heischegang durch das Dorf geführt werden, wo sie für
ihr Segen bringendes Erscheinen von den Hausfrauen Mehl, Eier
oder mekici erhalten.
(
)
Die Muslimen Bulgariens haben offensichtlich viele der alten
balkanischen Traditionen und Bräuche bewahrt. In Draginovo
erzählte man uns, dass die Frauen am Nachmittag des Ramazan
bajrjam auch ihre christlichen Nachbarn mit Festbroten aufsuchen,
um sie zu beschenken. Genauso selbstverständlich ist es,
dass die Christen zu Ostern ihre muslimischen Nachbarn mit gefärbten
Ostereiern überraschen. Nachbarschaft und gemeinsames kulturelles
Erbe prägen das Miteinander. Die unterschiedliche Religion
wird dabei als selbstverständlich respektiert.
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